Dienstleistungen erwirtschaften einen immer größeren Teil unseres Bruttoinlandsprodukts. Doch wie lassen sich Dienstleistungen effektiv vermarkten? In meinem Gastbeitrag für den Blog der E-Learning Group habe ich diese und weitere Fragen beantwortet.
Hier finden Sie den gesamten Text:
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Wir leben und arbeiten in einer Dienstleistungswirtschaft. Etwa 70 Prozent der Wertschöpfung werden in Deutschland mit Dienstleistungen erwirtschaftet. Drei von vier Beschäftigten arbeiten im Dienstleistungssektor. Umso erstaunlicher ist es, dass die meisten Lehrbücher für Betriebswirtschaftslehre vom Produktmarketing als Standardfall ausgehen und das Dienstleistungsmarketing als Sonderfall behandeln.
Wie ein Ansatz aussehen könnte, um das klassische Marketingmodell für die Dienstleistungswirtschaft nutzbar zu machen, wird wie folgt aufgezeigt.
Die „4P“ im Dienstleistungsmarketing weisen einige Besonderheiten auf
Um einen strategischen Ansatz im Marketing zu formulieren, ist das Modell der „4P“ (Product, Price, Place, Promotion) nach wie vor sehr gut geeignet. Allerdings müssen in Bezug auf Dienstleistungen einige Besonderheiten berücksichtigt werden, die sich wie folgt auf die jeweilige Kategorie auswirken:
Produktpolitik – In dieser Kategorie liegt die wohl größte Besonderheit des Dienstleistungsmarketings. Dienstleistungen sind – im Gegensatz zu Produkten – immateriell, nicht-lagerfähig und erfordern die Mitarbeit des Kunden bei ihrer Erzeugung. Hierdurch tritt die Frage auf, wie sich betriebswirtschaftliche Prozesse, die immer von einer Standardisierbarkeit ausgehen, überhaupt auf sie anwenden lassen. Eine Dienstleistung wird prinzipiell immer im Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Standardisierung stehen. Im Dienstleistungsmarketing besteht die Kunst nun darin, beide Seiten in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Preispolitik – Für Dienstleistungen gibt es unterschiedliche Preismodelle, sehr häufig werden sie nach erbrachten Stunden mit vorab definierten „Stundensätzen“ abgerechnet. Dieses Modell ist zwar beliebt, weil es intuitiv verständlich ist. Jedoch: Zeit ist nicht skalierbar; jede Arbeitsstunde kann daher nur einmal „verkauft“ werden. Gerade bei komplexeren Dienstleistungen wie der Rechts- oder Managementberatung hat dies zur Folge, dass die Stundensätze in luftige Höhen geschraubt werden müssen, um einen angemessenen Preis zu erzielen. Dies kann jedoch preispsychologische Bedenken beim Kunden auslösen sowie für die Branche einen zweifelhaften Ruf begründen – denn für „normale“ Angestellte ist es wenig begreiflich, wie jemand mehrere tausend Euro in nur einer Stunde verdienen kann. Gerade Managementberatungen gelten daher landläufig als „überteuert“ oder sogar „gierig“. Außerdem haben bei dem stundenbasierten Preismodell die Einkäufer den Vorteil, dass sie mit einem vorab fixierten Budget und Scope argumentieren können, während die vom Dienstleister eingesetzte Zeit eine Variable darstellt. Dadurch stehen Einkäufern zwei Optionen zu Lasten des Dienstleisters offen: Sie können entweder die Stundensätze bereits in den Vertragsverhandlungen „drücken“; oder im Lauf des Projekts mehr Stunden verlangen, die zum Erreichen des Scope notwendig sind, aber nicht bezahlt werden. Dies führt beim Dienstleister dann zum sogenannten „Overservice“, einem Verlustgeschäft. Dienstleister sollten daher auf raffiniertere Preisemodelle setzen, die Festpreise und variable Leistungen – zum Beispiel vermittels sogenannter Service Level Agreements (SLAs) – kombinieren. Das setzt aber wiederum eine (Teil-)Standardisierung des Dienstleistungspakets voraus.
Distributionspolitik – Dienstleistungen werden direkt beim oder zumindest mit dem Kunden erbracht. Sie können nicht eingelagert werden und „verfallen“, wenn kein Kunde sie in Anspruch nimmt. Ein Beratungsunternehmen beispielsweise, dessen angestellte Berater „auf der Bank sitzen“, weil sie derzeit kein Kundenprojekt haben, muss diese weiterhin bezahlen. Andererseits „verfallen“ auch Absatzmöglichkeiten für Dienstleister, wenn sie nicht zum richtigen Zeitpunkt das vom Kunden gewünschte Know-how beziehungsweise die erforderlichen Leistungskapazitäten vorhalten können. Personalmanagement und Kapazitätsplanung tragen daher zum Vermarktungserfolg in der Dienstleistung sehr wesentlich bei.
Kommunikationspolitik – Dienstleistungen überzeugend zu kommunizieren bringt zwei grundlegende Herausforderungen mit sich: Zum einen sind sie immateriell, können als nicht mit den Sinnen erfasst werden wie physisches Produkt. Zum anderen müssen sie vom Kunden bezahlt (oder zumindest verbindlich bestellt) werden, bevor sich ihr Wert manifestiert. Die Kommunikationspolitik im Dienstleistungsmarketing hat deshalb vor allem zwei Aufgaben: Erstens muss sie es schaffen, die Dienstleistung zu konkretisieren und ihren Mehrwert für den Kunden erlebbar zu machen. Zweitens – und dies geschieht maßgeblich vermittels des Brand Managements – muss sie bei Kunden das Vertrauen schaffen, dass ihre Investition in den Dienstleister sich auszahlt.
Während die „4P“ vor allem die Perspektive des Produzenten darstellen, beschäftigen sich neuere Marketingtheorien stärker mit der Kundenperspektive. So ist zum Beispiel immer häufiger von „value-based marketing“ oder auch „customer-centric marketing“ die Rede. Dabei ist es allerdings nicht so, dass sich beide Perspektiven ausschließen; vielmehr ergänzen sie sich. Die Kundensicht lässt sich vermittels von Kontrollfragen in die „4P“ integrieren: Wie muss unsere Dienstleistung aussehen, dass sie einen Wert für den Kunden bietet? Welche Preismodelle bilden diesen Wert für den Kunden angemessen ab? Wie bringen wir den Wert zu unseren Kunden und für sie zur Geltung? Wie erklären wir den Kunden, welchen Wert sie von unserer Dienstleistung zu erwarten haben?
Fundamental für einen strategischen Ansatz im Dienstleistungsmarketing ist also die Frage, wie sich ein Dienstleistungspaket entwickeln lässt. Diese zu beantworten, stellt eine nicht zu unterschätzende intellektuelle Aufgabe dar. Analog zu neueren Methoden der Produktentwicklung wie Design Thinking könnten Dienstleister daher standardisierte Lösungspakete aufsetzen, die sich eng an dem Nutzen für ein bestimmtes Kundenproblem orientieren. So lässt sich zum Beispiel ein Minimum Viable Service (MVS) definieren, der bei minimalem Arbeitseinsatz einen ersten Wert für den Kunden erzeugt. Welche Implikationen dies für die Wettbewerbsstrategie hat, soll nun im Folgenden aufgezeigt werden.
Dienstleistungen stehen im Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Standardisierung
Sowohl das individuelle als auch das standardisierte Erbringen von Dienstleistungen haben jeweils Vor- und Nachteile im Hinblick auf die Wettbewerbsposition. Dies ist in der folgenden Übersicht dargestellt:
Individualisierung | Standardisierung | |
Wettbewerbs- vorteil | – Exklusivität (nur ein Kunde hat Zugriff auf die spezifische Dienstleistung) – Innovationsmöglichkeit (Dienstleistung kann auf die speziellen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten und dadurch verbessert werden) – Engere Kundenbindung Spareffekt durch Abstimmung auf tatsächliche Anforderungen – Geringere Preistransparenz (Mehr Konsumentenrente kann abgeschöpft werden) | – Inkrementelle Verbesserung der operativen Prozesse möglich – Prozesstransfer möglich (z.B. auf weniger erfahrene Mitarbeiter, Outsourcing, KI-Lösung) – Konsistente Qualität – Skalierbarkeit – Kürzerer und einfacherer Vertriebsprozess |
Wettbewerbs- nachteil | – Nicht skalierbar – Qualität vom einzelnen Mitarbeiter abhängig – Inkonsistente Qualität – Höherer Zeit- und Personalaufwand | – Keine Exklusivität (Standardlösung kann auch vom Konkurrenten angeboten werden) – Höhere Preistransparenz (Weniger Konsumentenrente kann abgeschöpft werden) – Höherer Wettbewerbsdruck durch Substitute (z.B. KI, Offshoring) |
Dienstleistungsunternehmen müssen erkennen, an welchen Stellen in ihrem Dienstleistungsprozess Individualisierung und Standardisierung jeweils sinnvoll sind. Auf Basis dieses Verständnisses können sie schließlich eine Wettbewerbsstrategie aufsetzen, die die jeweiligen Vorteile nutzt und die jeweiligen Schwächen kompensiert.
Outsourcing und KI-Lösungen senken die Kosten für standardisierbare Dienstleistungsprozesse
Die Wettbewerbsfähigkeit ist eine zentrale Frage vor dem Hintergrund der aktuellen technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Zahlreiche Dienstleistungsunternehmen (oder sogar -berufsgruppen) geraten derzeit vor allem durch zwei Substitute unter Druck: Einerseits durch Auslagerung in Länder mit niedrigeren Personalkosten, die durch das Internet leicht möglich ist; andererseits durch Software- beziehungsweise KI-Systeme, die zumindest bestimmte Teilprozesse ihrer Arbeit vollautomatisch übernimmt.
Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg beider Substitute ist allerdings Standardisierung. Nur ein Geschäftsprozess, der zu einem hohen Grad standardisiert wurde, lässt sich unter vollkommen anderen Bedingungen bei gleichbleibender Qualität wiederholen oder auch in einem Computermodell abbilden.
Dies gibt nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage: Wie bildet ein Dienstleistungsunternehmen diejenigen Kernkompetenzen heraus, welche einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen? Nämlich, indem es alle Prozesse in einen „proprietären Standard“ überführt, die es individuell besser machen als der Wettbewerb. Hierdurch kann es schließlich einen Preis- bzw. Qualitätsvorteil geltend machen. All diejenigen Prozesse, die es genauso gut (oder schlecht) macht wie der Wettbewerb, sind keine Kernkompetenzen und sollten eingekauft beziehungsweise ausgelagert werden.
Strategisches Dienstleistungsmarketing besteht also in der übergreifenden Aufgabe, die immateriell erbrachten Dienstleistungen zu einem Prozess zu modellieren, diesen zu standardisieren und schließlich als Dienstleistungspaket vertriebsfähig auf den Markt zu bringen. Diese Herausforderung wächst mit der Komplexität der erbrachten Dienstleistung.
Felix Schönherr ist Kommunikationsberater und Teilnehmer des MBA-Studiengangs „Digital Marketing & Data Management“ der FH des BFI Wien. In seiner Forschung befasst er sich mit den Grundlagen des strategischen Dienstleistungsmarketings.
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